Gammertingen. Die Kreisvorstandsitzung am 01.07.2014 stand ganz im Zeichen des demografischen Wandels im ländlichen Raum. „Ein Thema, das uns bereits heute alle betrifft“, so Kreisvorsitzender Klaus Burger MdL.
Als Referent konnte Paul Locherer MdL, der den Wahlkreis Wangen im Landtag Baden-Württemberg seit 2006 vertritt, gewonnen werden. Locherer war zudem von 1986 – 2000 Bürgermeister der Gemeinde Amtzell im Landkreis Ravensburg. Er ist Vorsitzender des Arbeitskreises V „Länderlicher Raum und Verbraucherschutz“ im Landtag von Baden-Württemberg, dem Klaus Burger MdL ebenfalls als Mitglied angehört.
Das Referat stand unter der Fragestellung „Demographischer Wandel im ländlichen Raum aus dem Blickwinkel der Kommunen“. Locherer stellte eine Studie des Instituts für Raumordnung und Entwicklungsplanung der Universität Stuttgart (kurz: IREUS) mit dem Arbeitstitel „Zukunftsfähigkeit im ländlichen Raum – Bestandsaufnahme und Handlungserfordernisse“ vor. Darin kommen Wissenschaftler zur Erkenntnis, dass im ländlichen Raum immer noch über 50% der Bevölkerung leben. Dieser Anteil ist aber trotz positiver wirtschaftlicher Entwicklung, vor allem bedingt durch die Abwanderung jüngerer Menschen, rückläufig. „In der Strukturpolitik soll“, so Locherer, „der Innenentwicklung der Gemeinden klar der Vorzug vor der Außenentwicklung gegeben werden“. Allerdings hat das Eigentumsrecht ganz eindeutig Vorrang, weshalb viele innerörtliche Potenziale an Baugrundstücken nicht nutzbar seien, da die Grundstückseigentümer den Gemeinden die Flächen nicht zur Verfügung stellten. Als Beispiel berichtet Locherer von seiner Gemeinde Amtzell, in der von 93 innerörtlichen Grundstücken gerade einmal sechs bebaubar seien.
Weitere Problemfelder sieht Locherer in der Gefährdung der Grundversorgung in der Medizin, den kleinen Einzelhandelsgeschäften und auch den Dorfgaststätten. Ebenfalls sei es unabdingbar, dass die vorhandenen schlagkräftigen Handwerksbetriebe guten Nachwuchs bräuchten. Hierfür sei der Zugang zu guten Aus- und Fortbildungsstätten unerlässlich, wie z.B. das Erfolgsmodell der Dualen Hochschule in Baden-Württemberg.
„Der demografische Wandel zwingt uns geradezu, interkommunal zu denken und zu handeln“, so Locherer. Als Beispiele nannte er, die „Demografiefestigkeit“ von Investitionen laufend zu überprüfen, sowie interkommunale Kooperationspotenziale zu nutzen. In Amtzell wurde beispielsweise eine Kindertagesstätte an ein Altenheim angegliedert, weil der Bedarf sich absehbar von Jung zu Alt verschiebt.
Die CDU-Fraktion will sich im Falle einer Regierungsübernahme 2016 besonders um die Stärkung des Ländlichen Raums kümmern. Hier nannte Locherer eine Fülle von Themenfeldern, die angegangen werden müssten: die Breitbandversorgung im ganzen Land sei unerlässlich, das Gemeindefinanzierungsgesetz sei reformbedürftig und durch die Polizeireform mit dem Wegfall von Dienstposten steige z.B. die Zahl der Wohnungseinbrüche auf dem Land enorm an. Dringend geändert werden müsse die Ausgleichsflächenregelung, denn derzeit sei der ländliche Raum billiger Lieferant von Ausgleichsflächen für Großprojekte in Ballungsgebieten, wie Stuttgart 21. Ausgebaut werden solle das RadTourismus-Angebot auf dem Land und schließlich müsse das Land eine „familienbegleitende“ Politik (Betreuungsangebote) fördern. Locherer sagte wörtlich: „Wir kümmern uns zu wenig um die Älteren, alles dreht sich um die Jugend.“ Zur Schulpolitik von Grün-Rot im Land sagte der Abgeordnete, dass Gemeinschaftsschulen die Probleme nicht lösen, sondern dadurch die Werkrealschulen wegbrechen. Trotzdem favorisiere die derzeitige Regierung eindeutig die Gemeinschaftsschule, lasse die Gemeinden aber bei der Finanzierung allein.
Die CDU-Fraktion im Landtag habe 5 Initiativen gestartet:
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Die Änderung des kommunalen Finanzausgleichs zu Gunsten des ländlichen Raums. Der Verteilungsschlüssel ausschließlich nach Einwohnerzahlen benachteilige die Fläche.
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Im Finanzausgleich soll ein „Demografiefaktor“ eingebaut werden.
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Ebenso soll im Finanzausgleich eine „Naturausgleichskomponente“ installiert werden.
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Die „gleiche Augenhöhe“ zwischen Ballungsräumen und dem ländlichen Raum soll in der Verfassung verankert werden.
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Das Ehrenamt soll ebenfalls Verfassungsrang erhalten.
In der anschließenden sehr regen Diskussion nannte Locherer noch weitere wesentliche Erkenntnisse aus seiner kommunalen Erfahrung: „Man muss sich „rechtzeitig“ um Probleme vor Ort kümmern.“ Gemeinden sollten „Demografie-Ausschüsse“ bilden und Bürger aus allen Schichten in diese Ausschüsse berufen, nicht nur Gemeinderäte. Er nannte das bürgerschaftliche Engagement eine Chance für die Gemeinschaft und forderte die Politik auf, durch Bürokratieabbau für den entsprechenden Rahmen zu sorgen. „Wir könnten vieles machen, wenn man uns nur ließe!“, so Locherer. Dabei verwies er auch immer wieder auf unsere Nachbarn in Vorarlberg und Südtirol, die in dieser Hinsicht weiter seien. Klaus Burger erinnerte daran, wie wichtig es sei, die Veränderungen im Ländlichen Raum zu erkennen, zu bewerten und zu handeln. „Aber genauso wichtig ist es, dass wir unsere Stärken herausstellen und noch mehr ausbauen. Kostengünstige Bauplätze, Wohnraum und Entwicklungsflächen, ein intaktes soziales Netz in Dorf und Stadt und ein Vereinswesen mit sehr hoher Qualität im musikalischem Bereich – Oberschwaben als Land der Blasmusik – im Sport, Kunst und Freizeitmöglichkeiten.“
Burger dankte dem Referenten für seinen ausführlichen Bericht und verabschiedete ihn mit einem kleinen Präsent.